Staatliche Konkurrenz am Markt

Artikel publiziert in  "Schweizer Personalvorsorge", 2020

Einige öffentlich-rechtliche Vorsorgeeinrichtungen sehen die Möglichkeit von weiteren Anschlüssen in ihren Rechtsgrundlagen vor. Öffentlich-rechtliche Sammeleinrichtungen könnten im Vorsorgemarkt mitmischen, wenn sie das wollten. Doch macht das Sinn?  

 

Zunächst ist begrifflich festzuhalten, dass sich die Definition der öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtung nicht nach der Rechtsform des angeschlossenen Arbeitgebers richtet, sondern nach dem Errichtungsakt der Vorsorgeeinrichtung: Sie ist eine «Einrichtung des öffentlichen Rechts» (vgl. Art. 48 BVG), also gegründet mittels eines Erlasses der gesetzgebenden Behörde (Legislative) auf Bundes-, Kantons- oder Gemeindeebene. Einer öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtung können sich auch privatrechtliche Arbeitgeber anschliessen – und umgekehrt: Einer privatrechtlichen Einrichtung können sich auch öffentlich-rechtliche Arbeitgeber anschliessen. Als Beispiel sei Art. 4 Abs. 2 des Publica-Gesetzes erwähnt, wonach sich – nebst dem Bund – weitere Arbeitgeber anschliessen können, «die dem Bund nahe stehen oder öffentliche Aufgaben des Bundes, eines Kantons oder einer Gemeinde erfüllen». 

 

Zur Marktteilnahme an sich 

Verschiedene Gründe können dazu führen, dass sich Vorsorgeeinrichtungen am Vorsorgemarkt beteiligen und versuchen, Neuanschlüsse zu generieren. Da ist zum einen das Bedienen des Kapitalgebers, was bei Versicherungsgesellschaften, die das Vollversicherungsmodell betreiben, der Fall ist. Generell sind aber die Vorsorgeeinrichtungen als solche nicht gewinnorientiert, was auch durch die Beschränkung der Rechtsformen gegeben ist: Eine direkte Gewinnablieferung ist mit dem Vorsorgezweck einer Stiftung nicht zu vereinbaren. 

Das Interesse an Wachstum und an der Gewinnung von Neukunden liegt bei den meisten Marktteilnehmern (in zunehmendem Masse autonome oder halbautonome Sammelstiftungen) somit nicht an der Gewinnablieferung an Dritte, sondern an der Vergünstigung der Rahmenbedingungen für Versicherte und Arbeitgeber. Durch den Neuzugang von vielen jungen Versicherten und möglichst wenigen Rentenbeziehenden verbessert sich die strukturelle Risikofähigkeit und damit die Sanierungsfähigkeit einer Kasse. Ein positiver Cashflow ermöglicht eine risiko- beziehungsweise ertragsreichere Anlagestrategie. Umwandlungssatzverluste werden minimiert beziehungsweise einfacher quersubventioniert, zum Beispiel über die Anlagerendite. Je grösser die Anzahl Versicherter, umso günstiger wird die administrative Verwaltung pro Kopf. Je grösser das Gesamtvolumen an Assets, umso mehr führen Skaleneffekte zu einer günstigeren Vermögensverwaltung. Eine gute Kostenstruktur erfordert geringere Kostenprämien oder ergibt eine höhere Nettorendite, ist also grundsätzlich erstrebenswert und für die Versicherten von Vorteil. Dies wiederum ist ein Wettbewerbsvorteil und generiert weitere Zuflüsse. 

 

Aspekte der Governance für eine Marktteilnahme 

Diese grundsätzlichen Überlegungen sind auch auf die öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen anwendbar, jedoch gibt es ein paar Besonderheiten zu beachten. Vorweg ist die grundsätzlichste aller Fragen zu beantworten: Soll das Gemeinwesen Vorsorgeeinrichtungen betreiben, um damit den privaten Markt zu konkurrenzieren? Wenn staatliche Betriebe am Markt operieren, wird dies von der Privatwirtschaft schnell als unzulässige Konkurrenzierung gerügt. Tatsächlich ist es mit (m)einem liberalen Gedankengut nicht zu vereinen, wenn der Staat Aufgaben übernimmt, welche ebenso gut Private erledigen können. Die berufliche Vorsorge wurde schliesslich so konzipiert, dass die privaten Einrichtungen das gesetzliche BVG-Obligatorium durchführen. Aus diesem Blickwinkel sollten – was auch der Realität entspricht – öffentlich-rechtliche Vorsorgeeinrichtungen nur staatliche und staatsnahe Betriebe versichern, also Service public sowie andere der Allgemeinheit dienende Institutionen mit öffentlichen Aufgaben. Gewerbe, Industrie und Banken haben demnach in öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen aus staatspolitischen – nicht aus rechtlichen – Gründen nichts zu suchen. Weder handelt es sich um Dienstleistungen mit Monopolcharakter noch um hoheitliches Handeln des Staats. 

Selbst wenn sich die Marktteilnahme auf Betriebe mit einem öffentlichen Auftrag konzentriert, bleibt noch ein weites Feld für Akquisitionen bzw. für den Verdrängungswettbewerb: Bildung, Hochschulen, Kultur, Gesundheitswesen, öffentlicher Verkehr, Seniorenpflege etc. beschäftigen eine Vielzahl von Arbeitskräften. Ein Grossteil dieses Sektors ist heute in öffentlichen Pensionskassen versichert. Solche Kassen könnten also versucht sein, über Akquisitionen am Markt ihre Struktur weiter zu verbessern. Viele solcher Kassen wollen aber gar keine Neuakquisitionen: Denn hierfür müssten die erforderlichen Vertriebsstrukturen aufgebaut werden, was wiederum zuerst Mehrkosten verursacht. Zudem sind Vorsorgewerke von öffentlichen Betrieben nicht immer die Rosinen, die man picken möchte, aufgrund ihres tendenziell hohen Rentneranteils. A propos Vertriebsstrukturen: Nach wie vor wird der Grossteil des Neugeschäfts über Brokerfirmen vergeben. Und nach wie vor gehören jährliche Courtagenzahlungen zu den Realitäten. 

Eine wichtige Voraussetzung zur Teilnahme einer öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtung am Markt ist ferner, dass die einzelnen Anschlüsse in separaten, finanziell voneinander unabhängigen Vorsorgewerken strukturiert werden, also nach dem Modell einer Sammeleinrichtung. Ansonsten findet eine Vermischung mit dem versicherten Gemeinwesen statt, was zu Haftungsfragen führt. Der Steuerzahler ist nicht bereit, für ein vom Gemeinwesen unabhängiges Kollektiv zu haften. Erst recht ist bei öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen im System der Teilkapitalisierung, was bekanntlich eine Staatsgarantie voraussetzt, darauf zu achten, dass der Umfang der Staatsgarantie klar umschrieben und begrenzt wird. Keinesfalls kann sich die Staatsgarantie auf ein am freien Markt akquiriertes Kollektiv erstrecken.

 

Politische Steuerung durch das Gemeinwesen 

Gemäss Art. 50 Abs. 2 BVG kann das Gemeinwesen durch öffentlich-rechtlichen Erlass gewisse Vorgaben an die Vorsorgeeinrichtung machen und so insbesondere entweder die Finanzierung oder die Leistungen vorgeben. Als Sammeleinrichtung kann man nun die Vorsorgewerke des Gemeinwesens, die von diesen Vorgaben betroffen sind, von den frei dazugewonnenen Vorsorgewerken trennen. Bei einer Gemeinschaftseinrichtung mit einheitlichem Vorsorgeplan und einheitlicher Finanzierung akzeptiert der Neukunde diese Vorgaben mit dem Abschluss des Anschlussvertrags. Bei künftigen Anpassungen steht ihm ein gesetzliches Kündigungsrecht gemäss Art. 53 f. BVG zu. Generell ist festzustellen, dass eine Skepsis politischer Behörden gegenüber einer Marktöffnung der «eigenen» Pensionskasse besteht, was auch mit der Angst vor einem politischen Kontrollverlust zu tun haben dürfte. 

 

Leistungsverbesserungen von Sammeleinrichtungen 

Art. 46 BVV 2 beschränkt die Leistungsverbesserungen der Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen, wenn die Wertschwankungsreserve weniger als 75 Prozent des Zielwerts beträgt. Diese Bestimmung wurde angedacht zur Disziplinierung der am freien Markt tätigen Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen. Aus wettbewerbstaktischen Gründen vorgenommene Höherverzinsungen sollen nicht ins Uferlose steigen, wenn es sich die Kasse eigentlich gar nicht leisten könnte. Vor diesem Hintergrund wurde die Meinung vertreten, diese Bestimmung sei für öffentlich-rechtliche Vorsorgeeinrichtungen nicht anwendbar, weil diese ja grundsätzlich nicht am Markt tätig seien. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden: Weder ist der Wortlaut dieser Bestimmung auf die privatrechtlichen Vorsorgeeinrichtungen beschränkt, noch ist es den öffentlich-rechtlichen Pensionskassen untersagt, sich am Markt zu beteiligen. Der Schutzgedanke dieser Vorschrift kann grundsätzlich auch öffentlich-rechtliche Vorsorgeeinrichtungen betreffen; die Gemeinwesen und die Steuerzahlenden werden es verdanken. 

 


Fazit in fünf Punkten

  1. Die Teilnahme am Wettbewerb ist für eine Vorsorgeeinrichtung grundsätzlich etwas Sinnvolles. Sie hält «fit» und sichert wettbewerbsfähige und nachhaltige(re) Konditionen. Neuanschlüsse können die Stabilität der Vorsorgeeinrichtung verbessern und Kosten minimieren. 

  2. Ein Eingriff der öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen in den freien privaten Vorsorgemarkt ist aus staatspolitischen Gründen nicht zu empfehlen. Öffentlich-rechtliche Vorsorgeeinrichtungen sollten sich auf die Gemeinwesen und die Arbeitgeber mit öffentlichem Auftrag beschränken. Dieses Potenzial ist nicht gering, aber von den Altersstrukturen her nicht immer vorteilhaft. 

  3. Die Governance-Strukturen müssen die Dualität der Entscheidungswege (Gemeinwesen, angeschlossene Arbeitgeber) berücksichtigen und eine Trennung zwischen den Vorsorgewerken vorsehen, erst recht, wenn Teile der Vorsorgeeinrichtung im System der Teilkapitalisierung geführt werden. Die Struktur einer Sammeleinrichtung ist hierfür geeignet. 

  4. Die These, wonach öffentlich-rechtliche Sammeleinrichtungen grundsätzlich nicht am Markt tätig und deswegen generell vom Anwendungsbereich von Art. 46 BVV 2 ausgenommen seien, ist nicht haltbar. 

  5. Die festzustellende defensive Marktbearbeitung der öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen ist nachvollziehbar. Eine aktive Marktteilnahme will gut überlegt sein und vom betreffenden Gemeinwesen mitgetragen werden.

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ES ICC 20 Stohler Concurrence de l'Etat
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